Montag, 16 November 2020 08:11

„Ein Schiedsrichter muss viel sehen und wenig hören“ – Tim Hendele im Interview

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Seit fast sechs Jahren Schiedsrichter im Hause des FSV Trier-Tarforst, blickt Tim Hendele auf schöne und unvergessliche Momente zurück. Das Hobby an der Pfeife hat ihn geprägt und nun hält auch er die Füße still, dank Corona und dem damit verbundenen Fußball-Stillstand. Im Interview stand Tim nun Rede und Antwort: (Foto: privat)

 

Lockdown traf auch Schiedsrichter hart

 

Hallo Tim – Lockdown nicht nur für Spieler und Zuschauer, sondern auch für Schiedsrichter. Wie gehst du mit dieser Zeit um, was fehlt dir besonders und wie hälst du dich fit?

Tim Hendele: Was mir natürlich – wie allen anderen Sportlern und Zuschauern auch fehlt, ist der Fußball, der Wettkampf, die Emotionen und das Miteinander auf dem Platz. Vor allem der letzte Teil bzw. das kameradschaftliche Miteinander unter Schiedsrichtern hat durch pandemiebedingte, nicht durchgeführte Belehrungen gelitten.

Man hat vor allem nach dem „Restart“ im Sommer gemerkt, wie viel Lust und Leidenschaft die Leute in den Fußball stecken, das hat zu einigen beeindruckenden Kulissen und einen intensiven Wettkampf geführt.

All das kommt in den nächsten Wochen zum Stillstand, wobei ich denke, dass dieser zweite Lockdown für mich einfacher und greifbarer ist, als das abrupte Ende im März. Ich selber bin bekanntlich kein riesiger Sportfanatiker, doch auch für mich heißt es jetzt wieder sich in den nächsten Wochen mit regelmäßigem Sport auf den Neustart vorzubereiten – meistens mit Laufeinheiten.

 

Verbands-Entscheidung alternativlos

 

Unterstreichst du die Entscheidung vom Land und Verband – alles ruhen zu lassen und wann denkst du, geht es dieses Jahr noch weiter?

Tim Hendele: Ich halte die Entscheidung des Verbandes nach wie vor für alternativlos. Gerade der letzte Spieltag vor dem Lockdown zeigte, wie paradox die ganze Situation war. Samstags war ich in Kenn vor 100 Zuschauern – während Kollegen z.B. bei uns in Tarforst oder in Irsch unter Ausschluss der Öffentlichkeit und eventuell sogar ohne Duschen/Kabinen pfeifen mussten.

In manchen Staffeln sind mehrere Mannschaften risikobedingt nicht angetreten, sodass sich eine Fortsetzung als nicht gerade sinnvoll erwies. Auch in Verbindung mit den zu dem Zeitpunkt (und heute auch noch) steigenden Infektionszahlen, zeichnete sich eine große sportliche Verzerrung – ja gar eine Wettbewerbsverzerrung ab.

Auch manche Vereine sorgten sich schon vor den Kosten, die „Geisterspiele“ ohne Einnahmen bedeutet hätten, seien es die Schiedsrichterspesen oder andere mit dem Spielbetrieb verbundenen Kosten. Deshalb fand ich den Schritt des Fußballverbandes schon fast etwas spät, aber dennoch dann früh genug – wobei das mit der Entscheidung der Politik sowieso ab dem 2.11. unumgänglich gewesen wäre. Ich denke nicht, dass wir dieses Jahr noch weiterspielen werden.

Der Verband hat eine Vorlaufzeit von mindestens zwei Wochen angegeben, was dazu führen würde, dass wir frühestens Mitte Dezember wieder anfangen könnten – die Zeit in der ohnehin viele Spiele witterungsbedingt abgesagt werden. Deswegen denke ich, dass die Fußballverbände einen Neustart zum frühstmöglichen Zeitpunkt Anfang 2021 anstreben werden.

 

An der Pfeife in Tarforst seit fast 6 Jahren

 

Wie blickst du auf diese Zeit bzw. Jahre als Schiedsrichter zurück?

Tim Hendele: Ich bin seit März diesen Jahres fünf Jahre Schiedsrichter für den FSV Trier-Tarforst. Darüber hinaus bin ich seit mittlerweile über dreizehn Jahre Mitglied des FSV. Tarforst ist und bleibt mein Herzensverein, indem ich seitdem ich sieben Jahre alt bin viele mögliche Positionen übernommen habe – sei es Spieler, Trainer, Schiedsrichter oder sogar Praktikant auf der Geschäftsstelle.Ich denke nicht, dass es in absehbarer oder naher Zukunft einen anderen Verein geben wird – einfach weil Tarforst für mich eine zweite Heimat geworden ist.

Auf die Zeit als Schiedsrichter kann ich definitiv nur voller Stolz zurückblicken. Meine Schiedsrichterprüfung abzulegen sehe ich heute als große Bereicherung in meiner Entwicklung. Die Schiedsrichterei gibt einem so viel im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung.

Auch auf meine sportlichen Leistungen blicke ich frohen Mutes zurück und hoffe, dass in meiner jetzigen höchsten Klasse noch nicht Schluss ist. Ich denke auch das Pfeifen wird mich noch eine lange Zeit begleiten – mit seinen guten und schlechten Seiten, wobei die guten Seiten deutlich überwiegen!

 

Drohungen und Beleidigungen

 

Schiris haben es ja derzeit nicht leicht. Viele Beleidigungen prallen an ihnen ab, zum Teil auch Drohungen. Wurdest du schon mit solchen Dingen konfrontiert und wenn ja, wie geht man am besten damit um?

Tim Hendele: Ich denke, dass leider die wenigsten Schiedsrichter in ihrer Karriere behaupten können, niemals Drohungen oder Gewalt begegnet zu sein. Auch ich erinnere mich vor allen an einen Vorfall, bei dem mir als junger Schiedsrichter ein A-Jugendspieler bis fast in die Kabine nachging und immer wieder gegen die Tür hämmerte, sodass ich mich später erneut von den Gästetrainern hab in die Kabine begleiten und „beschützen“ lassen. Beleidigungen gehören leider zum sportlichen Alltag im Fußball. In der 90. Minute jedes Spiels gibt zu oft die ganze Palette von „Du Pfeife“ bis hin zu Beleidigungen, die ich an dieser Stelle lieber nicht wiederhole.

Im Grundsatz gilt ein bekanntes Schiedsrichter-Sprichwort sowohl auf, als auch neben dem Platz: „Ein Schiedsrichter muss viel sehen und wenig hören“. Trotzdem sollte und muss man sich nicht alles gefallen lassen. Wichtig ist, vor allen nach schlechten Tagen, selbstkritisch seine Leistung zu reflektieren und auch mit anderen Leuten darüber zu reden.

Und dann gilt nach einer kleinen Reflektion auch das gleiche neben wie auch auf dem Platz: „Einfach abhaken und weitermachen“. Wichtig ist, dass man da nicht alleine gelassen wird – gerade die jungen Schiedsrichter und Anfänger, doch hier hat in unserer Schiedsrichtervereinigung immer jemand ein offenes Ohr.

Neben all den negativen Sachen möchte ich aber auch erwähnen wie viel faires Verhalten und Positivität es auch in diesem Sport gibt. Oft kommt ein Spieler, der vielleicht neunzig Minuten lang mit dir diskutiert hat, nach dem Spiel zu dir, gibt dir die Hand und sagt: „Super gepfiffen Schiedsrichter“. Und das ist das was im Großen und Ganzen wichtig ist, dass wir uns nach dem Spiel in die Augen schauen können und das ein oder andere isotonische Kaltgetränk trinken können.

 

Eigenschaften eines guten Schiris

 

Was macht einen guten Schiedsrichter aus – bzw. was muss er mitbringen, außer einer Pfeife und Karten?

Tim Hendele: Ein guter Schiedsrichter sollte Fitness, Persönlichkeit und Regelwissen mitbringen. Er sollte eine Entscheidung schnell treffen und diese nach außen hin auch „verkaufen und verkörpern“ können. Dazu gehören Sachen wie eine klare Körpersprache und auch die Berechenbarkeit – d.h. der Spieler weiß, dass er bis zu einem gewissen Punkt gehen kann und nicht weiter.

Und trotz 90 Minuten Stress und Konzentration gehört auch immer mal wieder ein Lächeln dazu. Allerdings ist kein „guter Schiedsrichter“ vom Himmel gefallen, niemand ist in etwas, was er zum ersten Mal oder noch nicht lange macht sicher. Deshalb ist die Schiedsrichterei auch ein guter Nährboden für eine Persönlichkeitsentwicklung, viele junge Leute haben schon davon profitiert und sind sicherer, kommunikativer und schneller in der Entscheidungsfindung geworden – auch ich!

Deshalb kann ich jedem empfehlen, der ein gewisses Grundinteresse an Fußball hat und vielleicht einfach mal was neues ausprobieren will, macht einen Schiedsrichterkurs, um dann auch die eine oder andere Entscheidung der Bundesliga-Schiedsrichter oder des „Köllner Kellers“, eher nachzuvollziehen.

 

Okay Tim – ich danke dir für das Interview und wünsche dir noch weiterhin beim FSV Trier-Tarforst eine gute und erfolgreiche Zeit.

Tim Hendele: Danke ebenfalls!

 

André Mergener

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